Pont de Normandie

Le Havre/ Honfleur, Frankreich

Der Pont de Normandie
Der Pont de Normandie am südlichen Seineufer bei Honfleur
Name: Pont de Normandie
Ort: Le Havre / Honfleur
Land: Frankreich
Konstruktionstyp: Schrägseilbrücke
Material: Spannbeton / Stahl
Bauzeit: 1989 - 1994
Beteiligte Personen: Michel Virlogeux
Verkehrsarten: Kraftfahrzeuge / Radfahrer / Fußgänger
Gesamtlänge: 2.141 m
Größte Spannweite: 856 m
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Der Pont de Normandie war bei seiner Verkehrsfreigabe ein Sprung in eine neue Dimension des Brückenbaus, denn er übertraf die Spannweite der bis dahin größten Schrägseilbrücke der Welt gleich um über 40 %. Ihr Konstrukteur Michel Virlogeux erhielt zahlreiche Auszeichnungen für die gelungene Architektur.

Bevor die Seine bei Le Havre in den Ärmelkanal mündet, hat sie einige der schönsten Regionen Frankreichs gesehen: z.B. die Metropole Paris, Rouen, die Hauptstadt der Normandie und kurz vor ihrem 'Ende' noch das pittoreske Honfleur. Bis 1995 befand sich die letzte Seine-Brücke vor dem Meer etwa 25 km von der Küste entfernt. Der Pont de Tancarville, eine Hängebrücke aus dem Jahr 1959, konnte aber längst nicht alle Verkehrsbedürfnisse befriedigen. Die große Entfernung dieser Brücke vom Hafen in Le Havre bedeute für den Warentransport auf dem Landweg Richtung Süden oder in die Bretagne einen Umweg von etwa 50 km.


Suche nach dem richtigen System

Eine zusätzliche Seine-Brücke näher an Le Havre galt aber lange Zeit als technisch nicht durchführbar. Die Breite der Seine nimmt mit jedem Kilometer Richtung Ärmelkanal deutlich zu und damit wächst natürlich auch die erforderliche Spannweite für eine Brücke. Zudem benötigt eine klassische Hängebrücke an den Uferseiten Felsen oder zumindest tragfähigen Boden, um die Kabel zu verankern. Beides ist im Mündungsbereich der Seine nicht vorhanden.

Rammpfähle für die Pylonfundamente
Anschauungsobjekte für die ausgeführte Gründung der Pylone auf Rammpfählen.
Dokumentationszentrum an der nördlichen Péage-Station.

Neue Chancen ergaben sich durch die Weiterentwicklung der Schrägseilbrücken, die erst in den 1950er Jahren in Deutschland so richtig in Fahrt kam. Eine Schrägseilbrücke hat gegenüber Hängebrücken den Vorteil, dass sie keine massive Verankerung an den Ufern benötigt. 'State of the Art' im internationalen Schrägseilbrückenbau war Anfang der 1990er Jahre die Yangpu Brücke in Shanghai, mit einer Spannweite von 602 m.

Bei Le Havre wurden aber mindestens 850 m Spannweite benötigt und dazu auch noch eine große Höhe unter der Fahrbahn, mit Rücksicht auf die Schifffahrt. Weitere Schwierigkeiten für die technische Lösungen gefunden werden mussten waren die manchmal stürmischen Wetterverhältnisse in Meeresnähe und der weiche Untergrund im Überflutungsbereich der Seine. Erst in einer Tiefe von etwa 40 m steht ausreichend tragfähiger Kalkstein an.


Die Pylone

Die für den Entwurf und die Bauausführung zuständige Behörde war die französische Straßenbauverwaltung SETRA. Deren Leiter der Abteilung für Großbrücken war seit 1987 Michel Virlogeux, der auch maßgeblichen Anteil an der Festlegung des Systems und der architektonischen Gestaltung der Brücke nahm. Unter Virlogeux' Regie waren schon mehrere interessante Straßenbrücken entstanden aber mit dem Bau des Pont de Normandie machte er sich in der internationalen Fachwelt endgültig einen Namen. Nach Vollendung des Pont de Normandie verließ Virlogeux den Staatsdienst und war später mit seiner Firma u.a. für den Entwurf des Viaduc de Millau verantwortlich.

Virlogeux betrat mit dem Pont de Normandie technisches Neuland, denn es gab bei Baubeginn keine Erfahrungen für eine solch große Schrägseilbrücke. In Europa war die längste bis dahin existierende Brücke dieses Typs die mit einer Spannweite von 530 m deutlich kleinere Skarnsundet Brücke in Trondheim / Norwegen. Wegen der fehlenden Erfahrung mit Schrägseilbrücken wurde für die Seinequerung daher trotz aller Probleme lange Zeit eine Hängebrücke favorisiert. Zu guter Letzt entschied man sich aber doch für eine Schrägseilbrücke, unter anderem weil Hängebrücken empfindlicher auf Seitenwind reagieren, der an diesem Standort in Meeresnähe häufig auftritt.

Die eigentlichen Bauarbeiten am Pont de Normandie begannen im Jahre 1989, doch wurde schon vorher eine Behelfsbrücke errichtet, weil der Boden am nördlichen Ufer nicht einmal für die schweren Arbeitsgeräte ausreichend tragfähig war. Auch bei der Gründung der Pylone bereitete der weiche Untergrund erhebliche Probleme, die schon ganz zu Anfang des Projektes zu einer Verzögerung von einem halben Jahr führten.

Während der südliche Pylon im unmittelbaren Uferbereich steht, musste der nördliche Pylon mitten im Wasser gegründet werden. Beide Pylone ruhen auf jeweils 56 Rammpfählen die Einzellängen bis zu 54,10 m haben. Alle Pfähle bestehen aus Stahlröhren mit Durchmessern von 1,50 bis 2,10 m, die in die Tiefe gerammt und anschließend mit Beton verfüllt wurden. Jeder einzelne Pfahl kann eine Last von 3.000 Tonnen aufnehmen. Das nördliche Fundament wurde zusätzlich mit einem Anprallschutz versehen, um den Pylon für den Fall einer Schiffskollision zu schützen.


Kabelherstellung und Montage des Trägers

Die Aufhängung der Kabel
Die Aufhängung der Kabel am Pylonkopf

Die beiden Füße jedes Pylons haben einen Abstand von 30 m. Eigentlich bilden sie aber ein Dreieck, weil sie unterhalb des Geländeniveaus mit einem Zugband aus Stahlbeton verbunden sind. Die Pylone sind insgesamt 215 m hoch und wie ein auf dem Kopf stehendes Y ausgebildet. Die schrägen Abschnitte der Pylone bestehen aus einem hochfesten Spannbeton und wurden bis zu ihrem Vereinigungspunkt in 139 m Höhe mit Hilfe einer Kletterschalung hergestellt. Die Einzelabschnitte sind 3,40 m hoch und noch heute gut erkennbar.

Der obere vertikale Teil der Pylone, an dem die Seile befestigt sind, wurde auf Vorschlag der Baufirma in Stahl ausgeführt und aus gestalterischen Gründen mit Beton verkleidet. Die Pylone sind von den Fußpunkten bis zu ihrer Spitze hohl und begehbar um die Lage der Stahlseile zu kontrollieren und gegebenenfalls einen Austausch vorzunehmen. Die Wandstärke der Pylone beträgt 50 cm, ist aber in den Eckpunkten verstärkt.

Jeder Pylon hat zwei Seilebenen mit 23 Kabeln je Seite, insgesamt also 92 Kabel je Pylon, die in der so genannten 'Fächeranordnung' befestigt wurden. Das längste Seil ist 460 m lang, das kürzeste nur 95 m, wobei jedes Kabel über eine Tragkraft von 27 Tonnen verfügt. Die Kabel bestehen aus bis zu 53 Drahtlitzen, die auf der Baustelle einzeln mit einer hin- und herfahrenden Montagevorrichtung zum Pylonkopf gezogen wurden. Anschließend wurde jede Litze einzeln mit exakt der gleichen Kraft vorgespannt, damit das Kabel als Ganzes wirken kann und die Litzen nicht ungleich belastet werden. Abschließend wurden die Kabel mit einem Korrosionsschutzrohr aus Polyethylen ummantelt.

Der Fahrbahnträger hat eine Breite von 23,60 m und ist nur 3,05 m hoch. Dadurch wirkt er außerordentlich schlank und elegant, ist aber auch windanfällig. Aus Gewichtsgründen besteht die Hauptöffnung des Trägers über der Seine auf einer Länge von 624 m aus Stahl. Von beiden Pylonen aus ragen jeweils 116 m lange Kragarme aus Spannbeton in die Hauptöffnung hinein, an die sich der stählerne Teil anschließt. Der Übergang von Beton zu Stahl ist für den Autofahrer nicht erkennbar, beim Blick unter den Träger aber gut zu sehen.

Sowohl die Beton- als auch der Stahlträger wurden im Freivorbau montiert. Der Teil aus Beton wurde vom Pylon ausgehend in beide Richtungen gleichzeitig hergestellt, damit sich ein Gleichgewicht einstellen konnte. Die jeweils 19,50 m langen Stahlsegmente wurden in einer Fabrik bei Paris hergestellt und auf der Seine zur Baustelle transportiert. Jedes dieser Segmente wog etwa 200 Tonnen und wurde mithilfe von auf der Brücke befestigten Kränen montiert. Wegen der Schifffahrt auf der Seine von und zur offenen See hat der Träger 56 m Abstand zur Wasseroberfläche. Obwohl die maximale Steigung der Fahrbahn bis zu 6 % beträgt, ist die Brücke durch die Zu- und Abfahrtsrampen insgesamt über 2 km lang.


Maßnahmen gegen starken Seitenwind

Ein großes Problem beim Bau von Schrägseilbrücken im Freien Vorbau ist die enorme Windanfälligkeit des frei auskragenden Brückenträgers während der Bauphase. Je länger die beiden sich näher kommenden Kragarme werden, umso größer wird die Gefahr, dass die Trägerenden bei starkem Wind unkontrolliert in Schwingungen versetzt und beschädigt werden. Um dies zu verhindern wurden während des Baus an den beiden Enden des Trägers verschiebbare Gewichte mit einer Masse von 50 t angebracht, mit denen die Schwingungen reduziert werden konnten.

Auch die fertige Brücke musste durch verschiedene Maßnahmen gegen das Aufschaukeln von Schwingungen bei starkem Wind gesichert werden. Zum einen wurden senkrecht zu jeder Seilebene mehrere Sicherungskabel montiert und zum anderen ist der Träger mit insgesamt 24 Schwingungsdämpfern versehen, die auch bei Sturm eine ausreichende Sicherheit garantieren sollen. Dennoch muss die Brücke hin und wieder bei sehr starkem Wind für LKW oder sogar für alle Fahrzeugarten gesperrt werden.


Fertigstellung und Einweihung


Dramatische Ansicht der nördlichen Auffahrrampe
mit dazu passender Wolkenformation

Der Pont de Normandie wurde schon im August 1994 fertig gestellt aber erst am 20. Januar 1995 für den Verkehr freigegeben. Der Grund für den Aufschub waren umfangreiche Belastungstests bei unterschiedlichen Windverhältnissen. Dabei wurden bis zu 80 LKW mit einer Ladung von jeweils 35 Tonnen in verschiedenen Aufstellungsvarianten auf der Brücke platziert. Da für eine so große und schlanke Schrägseilbrücke keine Erfahrungen vorlagen, kam den Versuchen eine besondere Bedeutung zu.

Der Pont de Normandie befindet sich eigentlich im Zuge der Autobahn A29. Da man ihre Benutzung aber auch für Fußgänger und Radfahrer erlauben wollte, hat man sie nur als Nationalstraße (N1029) klassifiziert. Das heißt die Autobahn ist im Bereich der Brücke unterbrochen. Auf jeder Seite der Brücke stehen neben den beiden Fahrspuren für den Kfz-Verkehr auch schmale Fußgänger- und Radfahrwege zur Verfügung.

Im Gegensatz zum motorisierten Verkehr ist die Benutzung für diese Verkehrsarten sogar kostenlos aber nicht ganz ungefährlich. Es empfiehlt sich dafür einen eher windstillen Tag auszuwählen und gut auf den entgegenkommenden Verkehr -besonders die LKW- zu achten. Die Rad- und Gehwege sind sehr schmal und nur durch einen wenige Zentimeter hohen Bordstein von der Fahrbahn getrennt.

Seit ihrer Vollendung ist der Pont de Normandie schon häufig ein Streckenteil der Tour de France gewesen. Natürlich wird die Brücke dann gesperrt und den Fahrern steht die gesamte Fahrbahnbreite zur Verfügung. Auch für den Normandie-Halbmarathon und andere Sportveranstaltungen müssen die Autofahrer gelegentlich auf den Pont de Tancarville ausweichen.


Fakten und Auszeichnungen

Der Pont de Normandie war ein Schritt in eine neue Dimension des Schrägseilbrückenbaus. Nach seiner Verkehrsfreigabe war er weltweit die Schrägseilbrücke mit der größten Spannweite. Inzwischen sind aber einige noch größere Bauwerke dieses Typs entstanden, vor allem in China. Seit der Vollendung der Russki-Brücke in Wladiwostok im Jahr 2012 ist sie auch nicht mehr die größte Schrägseilbrücke Europas. Dennoch ist sie auch heute noch ein höchstinteressantes und beeindruckendes Bauwerk. Ihr Konstrukteur Michel Virlogeux erhielt mehrere Architekturpreise für die gelungene Gestaltung.

Für die Bauarbeiten der Brücke wurden über 70.000 Kubikmeter Beton und ca. 19.000 Tonnen Stahl benötigt. Insgesamt verschlangen die Arbeiten etwa 300 Millionen Euro. Um die Kosten zu refinanzieren ist die Benutzung für den motorisierten Verkehr kostenpflichtig.

Zur Vereinnahmung der Gebühr befinden sich auf beiden Seiten der Brücke Mautstationen mit denen erforderlichenfalls auch die Verkehrsdichte auf der Brücke reguliert werden kann. Mitte 2018 betrug die Gebühr für die einfache Überfahrt eines normalen PKW 5,40 €. Die aktuellen Preise, auch für andere Fahrzeugarten, findet man hier..

Als Ausgangspunkt für einen Spaziergang über die Brücke empfiehlt sich der (beidseitige) Parkplatz an der nördlichen Péage-Station bei Le Havre. Hier gibt es auch ein interessantes Dokumentationszentrum zum Bau und dem Betrieb der Brücke. Wenn man sich den Pylon und den Fahrbahnträger von unten ansehen will, ist es besser auf der Südseite bei Honfleur abzufahren. Etwa 500 Meter vor dem südlichen Pylon befindet sich direkt neben der Rampe (westlich) ein kleiner Parkplatz, der sich gut dafür eignet.

Auch die Brückenbauabteilung des Deutschen Museums in München beschäftigt sich mit dem Pont de Normandie. Unter anderem ist hier ein Modell im Maßstab 1:40 vom nördlichen Pylon zu sehen, das den Bauzustand im Frühjahr 1993 zeigt.

Quellen:


www.bernd-nebel.de

© Dipl.Ing. Bernd Nebel