Die erste Eisenbahnbrücke zwischen Strassburg und Kehl

Straßburg / Kehl, 1861


Gitterträger und Portale der ersten Eisenbahnbrücke Straßburg - Kehl über den Rhein.
Am linken Bildrand eine der beiden Drehbrücken.
Name: Eisenbahnbrücke Straßburg-Kehl
Ort: Straßburg / Kehl
Land: Frankreich / Großherzogtum Baden
Konstruktionstyp: Balkenbrücke (Fachwerkträger)
Material: Puddeleisen
Bauzeit: 1858 - 1861
Beteiligte Personen: Edouard Fleur Saint-Denis
Émile Vuignier
Franz Keller
Wilhelm von Kageneck
Verkehrsart: Eisenbahn / Fußgänger
Gesamtlänge: 225 m
Größte Spannweite: 56 m
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Die erste Eisenbahnbrücke die bei Kehl über den Rhein führte, erregte vor allem wegen des neuartigen Gründungsverfahrens in Fachkreisen große Aufmerksamkeit. Wie so viele andere Brücken fiel sie dem zweiten Weltkrieg zum Opfer.

Bekanntlich wurde die erste deutsche Eisenbahnlinie 1835 zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet. Obwohl der Ausbau des deutschen Eisenbahnnetzes im Vergleich zu England, Frankreich oder den USA zunächst nur schleppend vorankam, hatte sich das Transport- und Verkehrswesen schon 15 Jahre später dramatisch verändert. Der früher dominierende Warentransport auf den Flüssen hatte stark an Bedeutung verloren und war weitgehend auf die Schiene verlagert worden.


Staatsvertrag für den grenzüberschreitenden Verkehr

Selbst auf dem Rhein war die Schifffahrt oberhalb von Straßburg fast vollständig zum Erliegen gekommen, nachdem man auf beiden Uferseiten Bahnlinien angelegt hatte. Allerdings hatten die Französische Ostbahn auf der einen und die Badische Staatsbahn auf der anderen Seite bis zum Bau der Kehler Rheinbrücke nirgendwo eine Verbindung. Überhaupt existierte zu dieser Zeit am Oberrhein keine einzige feste Brücke, sondern nur einige 'Fliegende Brücken' für den Straßenverkehr. So gabe es auch 100 m oberhalb des vorgesehenen Standorts seit 1815 eine Schiffbrücke für den Straßen- und Fußgängerverkehr.

Im September 1857 unterzeichneten Frankreich und das Großherzogtum Baden einen Staatsvertrag zur Verbindung ihrer Eisenbahnlinien zwischen Straßburg und Kehl. Wichtigstes Bauwerk des Projektes war die Brücke über den Rhein, für die festgelegt wurde, dass eine zweigleisige Strecke mit beidseitigen Gehwegen errichtet werden sollte. Außerdem war auf jeder Uferseite eine Drehbrücke anzuordnen, die aber nicht für die Schifffahrt bestimmt war. Vielmehr sollten die Drehbrücken beiden Vertragspartnern die Möglichkeit geben, die Bahnlinie durch eine einseitige Entscheidung komplett außer Betrieb zu nehmen. Diese strategische Einrichtung hatte also vor allem militärische Gründe und zeigt das damalige Misstrauen der Vertragspartner. Zweifellos war das Vorhaben nach jahrhundertelanger Feindschaft und vielen Kriegen zwischen den Nationen ein Projekt der Völkerverständigung und der Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft. Dennoch scheint es notwendig gewesen zu sein, beiden Vertragspartnern diese Hintertür offen zu lassen.

Weiterhin regelte der Vertrag die Zuständigkeiten für die Bauausführung: die französische Ostbahn hatte sich um die Gründungsarbeiten und die Herstellung der Pfeiler zu kümmern, während die Badische Staatsbahn den Überbau zu montieren hatte. Dieser bestand aus einem Gitterkastenträger, den beiden Drehbrücken sowie den Einfahrtsportalen. Alle Arbeitsschritte waren jeweils von der anderen Seite zu überwachen. Im Rahmen dieser Vereinbarung kam dem Polytechnikum in Karlsruhe die ehrenvolle Aufgabe zu, die Entwurfspläne aufzustellen. Dies geschah unter Mitwirkung der Studenten unter Anleitung ihres Dozenten Franz Keller Franz Keller (1807 bis 1870) war ein badischer Baubeamter mit Schwerpunkt im Eisenbahnbau. und dem Ingenieur Wilhelm von Kageneck.

Die Schiffbrücke für den Straßenverkehr, die von 1815 - 1897 bestand.
Links im Bild die bereits fertiggestellte Eisenbahnbrücke.

Der Plan Kellers sah eine zweigleisige Bahnlinie mit einem Gitterträger vor, wie er z.B. schon in Dirschau und Köln bestand. Dieser sollte im Wesentlichen mit drei Einzelfeldern von je 56 m Spannweite den Rhein überbrücken. Hinzu kam auf jeder Uferseite die Drehbrücke mit Spannweiten von 26 m. Insgesamt hatte die Brücke zwischen den Widerlagern eine Länge von 225 m. Auf beiden Seiten des Trägers sollten außerdem 1,50 m breite Gehwege eingerichtet werden.


Die Druckluftgründung

Die erste Eisenbahnbrücke bei Kehl entstand in einer Zeit, als die Begradigung des Oberrheins nach den Plänen von Johann Gottfried Tulla noch in vollem Gange war. Als Folge dieser Maßnahmen hatte der Fluss bei Kehl schon 1858 eine deutlich höhere Fließgeschwindigkeit als vor der Begradigung. Durch die große Schleppspannung führt er auf seinem Grund große Mengen an Kies und Sand mit sich. Die Ablagerungen können an ein und derselben Stelle im Laufe eines Jahres enorm variieren. Auf der Grundlage von Sondierungen bis in 80 m Tiefe kam man damals zu der Überzeugung, dass eine vor Unterspülung sichere Gründungssohle erst in einer Tiefe von 20 m unterhalb des niedrigsten Wasserspiegels aus dem Jahr 1854 gewährleistet war. Einen Kastendamm mit Pfahlgründung hielt man daher für unzulänglich und wandte sich der Caissongründung mit Druckluft zu.

Der Aufgabenverteilung entsprechend beschäftigte sich die französische Bahngesellschaft mit den Details der Fundamentierungsarbeiten. Federführend war dabei der Ingenieur Edouard Fleur Saint-Denis, der das in Rochester und Saltash angewandte Verfahren modifizierte und verbesserte. Ganz davon abgesehen, dass die Druckluftgründung ohnehin eine Erfindung des französischen Ingenieurs Jacques Triger war, hatte man aber auch in Frankreich z.B. mit den Brücken in Lyon und Moulins schon erste Erfahrungen im Brückenbau gesammelt.

Das bei Kehl erstmals verwendete System führte allerdings erhebliche Verbesserungen ein, die sich sowohl auf die Dauer der Bauausführung bezogen, als auch auf die Sicherheit der Arbeiter. Der wesentliche Unterschied zu den in England und Frankreich ausgeführten Druckluftgründungen bestand darin, dass die Beseitigung des Materials nun unter gleichbleibendem Überdruck erfolgte, während vorher die eisernen, runden Senkkästen abwechselnd Überdruck und Unterdruck ausgesetzt wurden. Bei diesem Verfahren gab es nur eine gemeinsame Schleusenöffnung für Mensch und Material, während man die Schächte in Kehl erstmals trennte. Eine weitere Neuerung in Kehl war, dass man die Pfeiler direkt auf der Oberseite der Senkkästen aufbaute, noch während der Caisson langsam nach unten sank. Dieses Verfahren erleichterte das Absenken erheblich, weil die wachsende Masse des Pfeilers dem natürlichen Auftrieb der Luft im Kasten entgegenwirkte und ihn so kontrolliert nach unten drückte.

Es muss allerdings erwähnt werden, dass die genannten Verbesserungen schon 1850 in fast allen Details von Gustav Pfannmüller D.h., Pfannmüller hat die Beschreibung des Verfahrens bereits vor Ausführung der Druckluftgründung in Rochester (1851) veröffentlicht. Gustav Pfannmüller: "Plan zur Erbauung einer stehenden Brücke über den Rhein mittelst Anwendung einer neuen Methode der Pfeilergründung…". Mainz 1850. für eine Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Mainz vorgeschlagen und veröffentlicht wurden. Pfannmüller beschrieb auch genau seine Überlegungen, die ihn - auf dem Umweg über andere Lösungen - zu exakt diesem Verfahren geführt hatten. Es scheint also tatsächlich seine eigene Idee gewesen zu sein. Allerdings wurde sein Projekt nicht verwirklicht und daher blieb es Fleur Saint-Denis vorbehalten, dieses erfolgreiche Verfahren erstmals praktisch umzusetzen.


Ablauf der Fundierungsarbeiten


Schnitt durch das Segment eines Senkkastens.
Jedes Fundament bestand aus drei, bzw. vier dieser Segmente.
Grün: eiserner Senkkasten (Caisson) mit schneidenförmigen Wänden
Gelb: Röhren mit Leitern und Druckschleusen für die Arbeiter
Blau: unter Wasser stehender Bereich, durch den die Eimerkette lief
Rot: unter Überdruck stehender Arbeitsraum.
Über dem Caisson der bereits hergestellte Pfeiler, durch den
die drei Röhren hindurch nach oben führten.

Schon die Vorbereitung der Gründungsarbeiten war sehr aufwändig. Über die gesamte Flussbreite wurde eine hölzerne Arbeitsbrücke errichtet, die stabil genug war, um auch den Transport der schweren Baumaschinen und Gründungsgerätschaften zu gewährleisten. Die Brücke, die man aus Sicherheitsgründen Signalrot angestrichen hatte, war mit 8 m breit genug für zwei Eisenbahngeleise. Johann Gottlieb Schwedler, Der ältere Bruder des preußischen Oberbaurates Johann Wilhelm Schwedler der die Baustelle 1859 besuchte, beschrieb das Hilfsbauwerk als imponierend und den Eindruck erweckend, es handele sich bereits um die dauerhafte Brücke.

Über jedem der vier Pfeilerstandorte hatte man zur Erleichterung der Gründungsarbeiten auf der Brücke ein großes Gebäude aus Holz aufgeschlagen, in dem die benötigten Maschinen untergebracht wurden. Auf diese Weise konnte man die Arbeiten unabhängig von den Witterungsverhältnissen durchführen. Für den Antrieb der Eimerketten wurden zwei Lokomotiven fest auf der Brücke installiert, deren Dampfmaschinen die notwendige Energie lieferten. Die erforderliche Druckluft für die Arbeit im Caisson wurde von einer weiteren Dampfmaschine erzeugt, die auf einem ebenfalls überdachten Floß im Rhein montiert war.

Die Senkkästen hatten die gleichen Außenabmessungen wie die Pfeiler selbst, die parallel auf dem Dach des Kastens aufgebaut wurden. Allerdings bestanden die Caissons nicht aus einem einzigen großen Kasten, sondern aus drei, bzw. vier Zellen, die vor dem Absenken zusammengenietet wurden. Jede Zelle hatte Abmessungen von L=7,00 m, B=5,80 m, H=3,40 m. Die Zellen waren durch eiserne Wände voneinander getrennt und bildeten abgeschlossene Arbeitsräume, in die jeweils ein Schacht für die Eimerkette und zwei Schächte für die Arbeiter führten. Die äußeren Senkkästen in Ufernähe bestanden aus vier dieser Segmente, während die beiden Caissons in Flussmitte nur aus drei Zellen bestanden. Die größeren Senkkästen hatten also eine Länge von 23,20 m und die beiden mittleren von 17,40 m. Die Seitenwände der Caissons bestanden aus 8 mm dickem Eisenblech, während die Decke mit 13 mm noch etwas stärker war. Als man während der Arbeiten Verformungen der Seitenwände feststellte, sah man sich genötigt sie zusätzlich zu verstreben. Für die Arbeiter im Caisson dürften diese Verstrebungen allerdings sehr störend gewesen sein.

Die Senkkästen wurden in einer französischen Fabrik vorgefertigt, zum vorgesehenen Standort transportiert und mit Hilfe eines Dampfkranes auf den Flussgrund abgesenkt. Vorher hatte man das Flussbett planiert, damit der Kasten horizontal aufsaß. Auf dem Dach des Caissons befanden sich an den Eckpunkten Zeiger und Skalen, um dessen horizontale Lage ständig kontrollieren zu können. Die Neigung des Caissons in die eine oder andere Richtung musste auf ein Minimum reduziert werden, weil ansonsten der gleichzeitig errichtete Pfeiler auf dem Dach des Kastens in Gefahr gewesen wäre.

Die Höhe des Senkkastens hatte man so gewählt, dass er anfangs aus dem Wasser herausragte. Der Pfeiler auf dem Dach wurde in Beton hergestellt, was sukzessive mit dem Absenken des Kastens geschah. Zu diesem Zweck wurde die dafür benötigte Schalung Abschnitt für Abschnitt nach oben verlängert und der Beton schichtweise eingefüllt. Gleichzeitig wurden die drei eisernen Röhren die Arbeiter und das Material immer weiter nach oben verlängert. Für das gleichmäßige und "ruckfreie" Absenken war es sehr wichtig, dass die Masse auf dem Dach des Caissons immer im richtigen Verhältnis zum Auftrieb und der seitlichen Reibung des Kastens stand.


Arbeitsbedingungen im Caisson


Die Arbeit in den Senkkästen wurde im Februar 1859 aufgenommen und fortan bei Tag und Nacht, "selbst bei Benutzung des elektrischen Lichts", Die elektrische Beleuchtung war zu dieser Zeit noch sehr unvollkommen. Die ersten kommerziell erfolgreichen Systeme kamen um 1880 auf den Markt. im Schichtbetrieb durchgeführt. Der eigentliche Arbeitsraum im Kasten war so klein wie möglich gehalten, um die Menge der erforderlichen Druckluft zu minimieren. Die Arbeiter betraten den Caisson über Leitern von oben, wobei sie eine Druckschleuse passieren mussten. Die Eimerkette wurde durch einen separaten Schacht geführt, der nicht unter Druckluft stand und infolgedessen mit Wasser gefüllt war. Die Höhe des Wasserspiegels korrespondierte dabei mit dem Rhein. Das untere Ende der Eimerkette ragte etwa einen Meter aus dem Kasten heraus in das Flussbett. So hielt die Druckluft den Arbeitsraum trocken und das Material konnte ohne Unterbrechung oder Druckverlust aus dem Kasten entfernt werden.

In jedem Segment des Senkkastens hatten vier Arbeiter das Material unter den Seitenwänden zu lösen und zu der Eimerkette zu schieben, die in der Mitte des Arbeitsraumes einen Trichter bildete. Die Eimerkette, deren Länge nach oben ständig an die erreichte Tiefe angepasst werden musste, beförderte das Material kontinuierlich nach oben. Oben angekommen wurden die Eimer ausgehängt, über Schütten auf Kähne verladen und wieder in die Kette eingehängt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten spielte sich das Verfahren ein, sodass man pro Tag durchschnittlich 30 - 45 cm an Tiefe gewann.

Die Auswirkungen der Druckluft auf den menschlichen Organismus waren damals noch weitgehend unbekannt. Man wusste zwar, dass bei Brunels Tamarbrücke in Saltash einige Arbeiter gesundheitliche Probleme hatten und einer sogar verstorben war, kannte aber die eigentliche Ursache nicht. Umso erstaunlicher ist es aus heutiger Sicht, dass bei den Gründungsarbeiten in Kehl keine Opfer zu beklagen waren. Allerdings bemerkte Schwedler, dass bei den Caissonarbeitern "eine gewisse Schwere, ein Mangel an Lebhaftigkeit in ihrem Verhalten auffallend hervortrat".

Zweifellos war die Arbeit im Caisson nichts für schwache Nerven. Man muss sich einen engen, stockdunklen und sehr stickigen Eisenkasten vorstellen, in dem es außerdem auch noch sehr warm war, weil sich die Luft bei der Kompression erhitzt. Man befand sich mehrere Meter unter der Wasseroberfläche und wusste über sich das enorme Gewicht des langsam in die Höhe wachsenden Pfeilers. Für die Arbeit im Caisson wurden nur junge und kräftige Männer zugelassen, die unter diesen Bedingungen pro Tag zwei Schichten von vier Stunden abzuleisten hatten. Trotz der harten Bedingungen war die Tätigkeit sehr begehrt, weil sie deutlich besser bezahlt wurde Die Arbeiter im Caisson erhielten einen Tageslohn von 5 Francs und zusätzlich eine Prämie von 2 Francs, wenn die tägliche Senkung mehr als 40 cm betrug. Für jeden weiteren cm wurden noch einmal 0,1 Francs bezahlt. als andere Arbeiten auf der Baustelle .

Der 1100 Tonnen schwere Gitterträger wurde mit Muskelkraft verschoben.
Die Strecke vom Werkplatz bis zum endgültigen Standort betrug ca. 500 m.

Durch die Akkordtätigkeit und den fast ununterbrochenen Baubetrieb schritten die Gründungsarbeiten zügig voran. An Heiligabend 1859 erreichte der letzte Caisson seine endgültige Position, sodass die Gründungsarbeiten innerhalb von 11 Monaten abgeschlossen werden konnten.


Die Montage des Überbaus

Da der Aufbau der Pfeiler parallel zu den Gründungsarbeiten vorgenommen wurde, konnte schon kurze Zeit nach Vollendung der Fundamente auch mit der Herstellung des Überbaus begonnen werden. Eigentlich war dieser Teil des Projektes ebenso spektakulär und innovativ wie die Gründung, denn es kam eine neue Technik zur Anwendung, aus der sich später das Taktschiebeverfahren entwickeln sollte. Allerdings war die Straßburger Brücke nur die zweite, bei der dieses Verfahren angewendet wurde, weil ihr eine andere um wenige Monate zuvorkam.

Im gleichen Monat in dem der französisch-badische Staatsvertrag unterzeichnet wurde, kam auch ein ähnliches Abkommen zwischen Baden und der Schweiz zustande, das den Bau einer Rheinbrücke zwischen Waldshut Sie ist die letzte in Betrieb befindliche Brücke Deutschlands mit einem Gitterträger. und dem schweizerischen Koblenz zum Ziel hatte. Bei Waldshut waren die Gründungsarbeiten nicht so kompliziert und zeitaufwändig wie in Kehl, sodass auch früher mit der Herstellung des Überbaus begonnen werden konnte. Das verwendete Montageverfahren war ganz ähnlich aber es gab auch gravierende Unterschiede. Der auffallendste war, dass die Eisenbahn in Waldshut auf dem Obergurt des Trägers fuhr, während sie bei Kehl auf dem Untergurt, also durch den Träger hindurch fuhr.

Nur zwei Monate nachdem man in Kehl mit den Fundierungsarbeiten begonnen hatte, fand die Submission für die Herstellung der Überbauten statt. Diese bestanden insbesondere aus dem 9 breiten, 6 m hohen und etwa 180 m langen Gitterträger, den beiden Drehbrücken und den aufwändigen Portalen. Der Träger war im Prinzip eine materialsparende Weiterentwicklung von Stephensons Röhrenbrücke über die Menai-Straße in Wales, der einen vollwandigen Aufbau hatte. Bereits in Dirschau, Köln und Waldshut hatte man die Wände des Trägers in engmaschige Gitterträger aufgelöst. Wie in Waldshut erhielten auch in Kehl die Gebr. Benckiser aus Pforzheim den Auftrag für die Montage des Trägers. Das Material, ca. 1000 Tonnen Schmiedeeisen und 250 Tonnen Gusseisen, wurde aber zollfrei aus dem französischen Le Creusot angeliefert.

Zur Montage des Gitterträgers wurde auf Straßburger Seite ein großer Werkplatz eingerichtet, zu dem auch eine 140 m lange Halle gehörte. Hier wurde der Träger vollständig zusammengesetzt, anschließend erst zum 450 m entfernten Rhein und schließlich über die fertiggestellten Pfeiler bis zur badischen Rheinseite geschoben. Mit diesem Verfahren hatte man bereits in Waldshut Erfahrungen gesammelt aber dennoch gab es große Probleme zu überwinden. Der Verschiebevorgang sollte eigentlich mit der Kraft einer Dampfmaschine bewältigt werden. Bereits nach drei Metern brachen aber die Zahnräder der Übersetzung ab. Nach erfolgter Reparatur des Schadens passierte das gleiche sofort wieder, sodass man sich gezwungen sah, die Verschiebung mit menschlicher Muskelkraft zu bewerkstelligen. Dafür verwendete man große Handkurbeln an denen 40 Männer gleichzeitig arbeiten konnten.

Der Träger wog insgesamt 1.100 Tonnen. Um ihn bewegen zu können, hatte man an seiner Unterseite Walzen montiert, die auf einer "Fahrbahn" rollten, die aus ausgelegten Stahlplatten bestand. Das war natürlich mühsam und zeitaufwändig, sodass man bestenfalls 6 m pro Stunde schaffte. Bevor man mit der Querung des Rheins begann, montierte man vor den vertikalen Seitengittern sogenannte Vorbauschnäbel, die aus Holz und Eisenklammern bestanden. Durch diese 21 m lange Zusatzkonstruktion wurde das auskragende Ende des Trägers deutlich weniger beansprucht, weil er schon 21 m bevor er selbst den nächsten Pfeiler erreichte, entlastet wurde. Das geglückte Verschieben der Brückenträger in Waldshut und Kehl gilt als Initialzündung für das später von Leonhardt entwickelte Taktschiebeverfahren.

Am 6. September 1860 erreichte man das badische Rheinufer und brachte den Gitterträger in seine endgültige Position. Nun waren noch die beiden Drehbrücken zu montieren, die Gleise zu verlegen und die Anschlüsse an die badische und französische Eisenbahn herzustellen. Der enorme Aufwand der dann noch mit den beiden Einfahrtsportalen betrieben wurde, ist aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, war aber typisch für die damalige Zeit. In einigen Fachzeitschriften beschäftigte man sich weit mehr mit den künstlerischen Details dieser Portale, als mit den wahren technischen Herausforderungen dieses Projektes. Deutsche und französische Künstler hatten eiserne Skulpturen für die Portale geschaffen, die Vater Rhein und Mutter Kinzig auf deutscher Seite, sowie Rhein und Ill auf französischer Seite verkörperten. Außerdem wurde das Portal von Adlern, Girlanden, gotischen Türmchen und Zinnen geschmückt.


Die Einweihungsfeierlichkeiten


Die zweite (eingleisige) Brücke über den Rhein (1956 - 2010). Ein Teil des Pfeilers, von dem nur
die Hälfte benutzt wird, wurde erhöht, um eine größere Durchfahrtshöhe für die Schifffahrt
zu erhalten. Es handelt sich um ein reines Strebenfachwerk ohne Pfosten.

Im April 1861 waren auch die Restarbeiten wie Bepflanzungen, weitere Verzierungen über den Strompfeilern oder die Signalanlagen fertiggestellt. Nun wurden in Straßburg und Karlsruhe feierliche Einweihungszeremonien mit Festbankett, Tischreden und kulturellem Rahmenprogramm begangen. Die andere Seite war dabei jeweils durch hochrangige Politiker vertreten, wenn sich auch die Hoffnung nicht erfüllte, dass Kaiser Napoléon III persönlich zum Bankett in Karlsruhe erscheinen würde.

Man beglückwünschte sich gegenseitig zu dem völkerverbindenden und friedenstiftenden Werk und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass es niemals einen Grund geben möge, die Bahnlinie durch die Drehbrücken außer Betrieb zu nehmen. Natürlich wünschte man sich auch eine Beförderung der Wirtschaft, denn bis dahin hatte es nur wenige Handelsbeziehungen über den Rhein hinweg gegeben.

Am 11. Mai 1861 rollte der erste planmäßige Zug über die Eisenbahnbrücke Straßburg - Kehl. Noch nicht einmal zehn Jahre später, im Juli 1870, erklärte Napoléon III den Krieg gegen Preußen Deutsch-Französischer Krieg von Juli 1870 bis Mai 1871. und besetzte am 2. August Saarbrücken. Entgegen den Erwartungen Frankreichs unterstützten die Staaten des Deutschen Bundes Preußen. Auch Baden wurde in die kriegerischen Auseinandersetzungen verwickelt und nahm die Rheinbrücke außer Betrieb. Allerdings begnügte man sich nicht mit dem Ausschwenken der Drehbrücke, sondern sprengte sie sicherheitshalber gleich.


Das weitere Schicksal der Kehler Rheinbrücke

Nach Ende des Krieges und der Abtretung des Elsaß an das neu gegründete Deutsche Reich wurde der Rheinübergang zunächst durch einen hölzernen Steg wieder instandgesetzt. Durch den Versailler Vertrag ging das Elsaß und die komplette Rheinbrücke nach dem Ersten Weltkrieg in das Eigentum Frankreichs über.

Während des Zweiten Weltkrieges sprengten französische Truppen im Oktober 1939 den ersten Pfeiler auf Straßburger Seite. Im September 1940 hatte die Deutsche Reichsbahn die Brücke provisorisch wieder instandgesetzt, die aber vorerst rein militärischen Zwecken diente. Nachdem sich das Blatt gewendet hatte, zerstörte die Wehrmacht im September 1944 auf dem Rückzug den gesamten Überbau und einen weiteren Strompfeiler. Von der Normandie aus nachrückende, amerikanische Pioniere erreichten im Juli 1945 Straßburg und errichteten eine eingleisige Pontonbrücke über den Rhein.

Im Mai 1954 begannen die Bauarbeiten für die zweite Eisenbahnbrücke zwischen Straßburg und Kehl. Der Überbau bestand aus einem Fachwerkträger mit Spannweiten von 89,54 m und 2 x 74,43 m. Für die Schifffahrt hatte er eine freie Durchfahrtshöhe von 7 m. Wie schon bei der ersten Brücke wurden die Pfeiler mit Druckluft gegründet und der Träger an Land vorgefertigt und eingeschoben. Im August 1956 wurde die eingleisige Brücke in Betrieb genommen.

Vor allem hinsichtlich der Schifffahrt genügte diese Brücke aber etwa 50 Jahre später schon nicht mehr den neuesten Anforderungen. Und so wurde 2010 die dritte Rheinbrücke in Betrieb genommen. Sie hat Spannweiten von 107 und 131 m und bietet den Schiffen eine freie Durchfahrtshöhe von 12,20 m.

Quellen: Interne Links:
  • "Die Fundamentierungsarbeiten der Rheinbrücke zwischen Straßburg und Kehl" veröffentlicht in: Allgemeine Bauzeitung Österreich, Jahrgang 1859, Seite 299
  • Recueil de d'Apparails á vapeur employés aux travaux de Navigation et de Chemins de fer par A.Castor… von A. Castor. Paris 1860.
  • "Der Rheinbrückenbau bei Kehl". Von Johann Gottlieb Schwedler und Hipp. Veröffentlicht in: Zeitschrift für Bauwesen, Jahrgang 1860, Spalte 7.
  • "Atlas zur Zeitschrift für Bauwesen", Jahrgang 1860
  • "Ueber die bei dem Baue der Eisenbahn-Rheinbrücke bei Kehl angewendeten Maschinen und über das denselben Gegenstand behandelnde Castor'sche Werk". Von A. Ritter von Burg, veröffentlicht in: Verhandlungen und Mittheilungen des niederösterreichischen Gewerbevereins", Jahrgang 1861, Seite 144)
  • Pont Sur Le Rhin a Kehl (1861). Von Emile Vuigner und Edouard Fleur Saint-Denis
  • "Der Brückenbau bei Kehl", veröffentlicht in: Polytechnisches Journal, Jahrgang 1861, Band 151, Seite 313.
  • "Die Fundamentierungsarbeiten der Rheinbrücke zwischen Straßburg und Kehl" veröffentlicht in: Allgemeine Bauzeitung Österreich, Jahrgang 1861, Seite 102
  • "Handbuch der Fundirungsmethoden im Hochbau, Brückenbau und Wasserbau", von Ludwig Clasen, Leipzig 1895 (Seite 267).
  • Eisenbahnbrücken aus zwei Jahrhunderten von Hans Pottgießer. Darin (Seite 127): "Die Brücke über den Rhein zwischen Kehl und Straßburg".


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© Dipl.Ing. Bernd Nebel